Saturday, August 6, 2022

INTERVIEW MILLE / KREATOR


"Globale Probleme lassen sich auch auf lokaler Ebene nur schwer lösen. Solange sich die Menschheit nicht als Weltgemeinschaft begreift, werden kaum Regeln durchgeführt werden können, die dem Klimawandel effektiv entgegenwirken."

Nachdem ich vor über fünf Jahren im Vorfeld der Veröffentlichung von "Gods of violence" schon einmal ein Interview mit Mille geführt hatte, bot sich das neue starke "Hate über alles" -Album, welches diesmal auf Platz 2 der deutschen Albencharts landen konnte, als guten Grund an, diese Angelegenheit zu wiederholen. Seitdem hat sich vieles in Deutschland, Europa und global getan, man denke nur an die Corona-Pandemie, den immer stärker zu Tage tretenden Klimawandel, der Krieg in der Ukraine und auch die, zumindest in den sozialen Netzwerken scheinbar deutlich werdendere Spaltung der Gesellschaft. Über diese und weitere Themen sprach ich mit dem mittlerweile in Berlin lebenden Bandkopf.

Hey, Mille super, dass das nun mit einem Interview zum zweiten Mal schon klappt. Damals, vor über fünf Jahren fand das Interview im Vorfeld zur Veröffentlichung von „Gods of violence“ statt. Hast Du noch genaue Erinnerungen an die kreativen Prozesse und die Aufnahmen der vergangenen Alben oder hast Du dich auch schon dabei ertappt, Orte, Menschen und Situationen in Nachhinein falsch zuzuordnen?

Meine Erinnerung funktioniert einwandfrei, allerdings denke ich über vergangenes nicht besonders oft nach und bin in Gedanken schon wieder bei meinen nächsten Projekten.

Die letzten Alben wurden in einem fünf Jahre-Turnus veröffentlicht. Ist das auch der Größe der Band und den Liveaktivitäten geschuldet, oder dauerte es einfach so lang, bis ihr zufrieden mit dem Material wart?

Das hat in der Tat mit den zahlreichen Tourneen zu tun. Ich schreibe permanent an Songs, allerdings dauert es auch immer etwas, bis das Material reif ist. Dennoch hoffe ich, dass das nächste Kreator-Album schneller kommt.

Kommen wir zum neuen Album „Hate über alles“. Musikalisch ist es ein sehr abwechslungsreiches Album, vielleicht das vielschichtigste Kreator-Album überhaupt. Von Thrash-Krachern, bis zu gemäßigteren Metal-Hymnen, dem gelungenen weiblichen Gesang von Sofia Portanet in „Midnight Sun“ bis hin zu den Black Metal-Einsprengseln in „Dying Planet“, die etwas an Dissection erinnern. Ergab sich das einfach, oder war das geplant?

Ich schreibe immer aus einem Gefühl heraus und das kann man beim besten Willen nicht planen. Die Songs entstehen und wachsen bei den gemeinsamen Proben und der Prozess führte uns diesmal in all die von dir beschriebenen Klangeskapaden.

Um auf den Albumtitel zu kommen: Gerade die aktuellen politischen, sozialen und ökologischen Ereignisse und Rahmenbedingungen sind ja geradezu prädestiniert dafür, von einer Band wie Kreator thematisch verarbeitet und vertont zu werden. Im Moment jagen ja eine Krise und eine Gefahr die nächste: Klima, Corona, Ukraine. Wobei um zum Thema Hass und fehlenden gesellschaftlichen Diskurs zu kommen:  War die Gesellschaft vielleicht früher genauso viel oder eben wenig gespalten, nur dass Corona und eben auch gerade das Internet und die sozialen Medien alles hervorbringen und sichtbar machen, was man früher gar nicht mitbekommen hätte? Die saudummen Äußerungen des Nachbarn landen heute vielleicht (anonymisiert) auf Facebook, früher wären diese nur in den eigenen vier Wänden geblieben?

Ganz genau! Das Internet und die sozialen Medien bringen das beste und das schlechteste in den Menschen zum Vorschein. Besonders die Pandemie, stellte für uns alle eine nie dagewesene, sehr ungewisse Situation dar. Viele suchten nach einfachen Antworten auf komplizierte Fragen. Manchmal dachte ich, es wäre besser, sich komplett aus der digitalen Welt auszuklinken, was ich in der letzten Zeit auch oft mache.

Wie hältst Du es persönlich mit den Sozialen Medien? Manchmal denke ich, bei all dem mit man quasi bombardiert wird, wenn man das Smartphone in die Hand nimmt, kann man ja nur denken, die Apokalypse steht kurz bevor. Jede Messerstecherei oder Vergewaltigung aus welchem Winkel der Republik auch immer oder auch weltweit, kriegt man fast in Echtzeit geliefert. Früher gab es die Tagesschau und die lokale Tageszeitung, da erschienen ja 90% dieser Nachrichten erst gar nicht.

Fluch und Segen. Wir müssen lernen, zu filtern und zu selektieren. Kommunikation ist im Wandel und es gibt eindeutig zu viel Information. Wir bekommen Zugang zu den groteskesten Meinungen, Thesen und Deutungen. Vieles davon ist vollkommen überflüssig und kann unsere Seelen betrüben.

In „Dying Planet“ heisst es „Our future is certain-a catastrophic ending“. Was denkst Du gerade bzgl. des Klimawandels? Wird die Menschheit das Ruder noch herumreißen können, sei es durch politische Änderungen und breite gesellschaftliche Bewegungen, oder durch bahnbrechende technologische Innovationen?

Ich denke, dass niemand den Klimawandel und seine Folgen will. Jedoch möchten auch viele nicht auf bestimmte Dinge verzichten, die den Klimawandel begünstigen. Globale Probleme lassen sich auch auf lokaler Ebene nur schwer lösen. Solange sich die Menschheit nicht als Weltgemeinschaft begreift, werden kaum Regeln durchgeführt werden können, die dem Klimawandel effektiv entgegenwirken.

Ich habe nun gelesen, dass Du in Berlin lebst? Wie kam es dazu, was waren die Gründe? Nach Essen zieht es Dich ja schon noch des Öfteren. Was mich interessiert: Wie nimmst Du Berlin wahr, was sind die Unterschiede zu Essen, sowohl von der Stadt als auch von der Mentalität der Leute her?

Ich habe seit den 80er Jahren schon mit einem Fuß in Berlin gelebt. Die Stadt ist weltweit einzigartig und inspirierend. Essen ist da für mich eher ein ruhiger Rückzugsort.

Kreator wurden ja gerade in den letzten Jahren, auch was die mediale Berichterstattung jenseits der klassischen Metal-Fachpresse betrifft, immer präsenter. Mittlerweile schafft es ja auch Wacken in die Tagesschau. Freut es Dich, dass auch Leute und Medienvertreter außerhalb der Metalszene auf Dich und die Band zukommen bzw. ihr dadurch auch noch zusätzlich in anderen Kreisen wahrgenommen werdet? Hattest Du andererseits mal das Gefühl, dass Du oder Kreator nur wegen eures Status respektiert oder gar hofiert wurdet, dieselben Leute aber von der total unbekannten Underground-Kutten-Thrash-Band eher angewidert wären?

Das kann ich beim besten Willen nicht beurteilen. Ich weiß nur, dass die Menschen mit mit denen ich „außerhalb der Metalszene“ rede, meistens der Musik und den Protagonisten sehr wohlgesonnen sind und äußerst interessante Fragen stellen.

Gibt es Personen, die über Kreator, weil sie euch bspw. durch die Chartplatzierungen wahrgenommen haben, überhaupt erst zum Metal gekommen sind? Sind dir solche oder ähnliche Anekdoten bekannt?

Die gibt es sicherlich. Messbar ist das allerdings nicht und es ist mir auch nicht bekannt.

Vor einigen Tagen haben sich die holländischen Thanatos aufgelöst, mit der Aussage im Grunde sei alles gesagt und getan worden und alles Weitere wäre letztlich nur noch eine Variation des bereits Gesagten. Wie hältst Du und die Band nach all den Jahren und nun (mit dem Neuen eingerechnet) 15 Alben, nach wie vor die Motivation hoch? Klar ist es euer Job, aber das allein lässt niemanden so frisch und hungrig und aggressiv klingen. Sind es auch immer wieder verschiedene Aspekte, die Dich neu interessieren? Gerade auch kommerziell gesehen habt ihr ja alles erreicht was eine harte Metalband erreichen kann. Wie wichtig sind neuen Bandmitglieder dafür, eine Band frisch und kreativ zu halten?

Musik ist erstmal kein Job, sondern eine Passion. Verdiente ich mit anderen Dingen mein Geld, würde ich halt für mich weiter Songs schreiben. Es ging uns zudem nie darum, kommerziell „etwas zu erreichen“, denn niemand von uns hat Musik jemals als Wettbewerb wahrgenommen.

Das Video zu „Midnight Sun“ ist ja vom Film „Midsommar“ beeinflusst. Gibt es andere, vielleicht auch etwas unbekannter (Horror-) Filme die Du empfehlen kannst? Bist Du ein großer Filmliebhaber oder gibt es Serien, die Du magst?

Ich bin großer Horrorfan, in der Tat. Empfehlen kann ich momentan „ Lamb“, von Valdimar JóhannssonSerien schaue ich auch gerne. „Trainwreck“ fand ich ganz gut.

Zum Abschluss eine etwas persönlichere Frage: In Interview mit metal.de hast Du gesagt, man müsse sich um seine Musik auch Gedanken machen, für den Fall, wenn man nicht mehr da ist. Und generell seid ihr ja auch in einem Alter angelangt, wo man merkt, dass man nicht mehr ewig leben wird. Jetzt frage ich mal so, gerade als Kreator immer größer wurden, gab bzw. gibt es auch den Aspekt, den viele Künstler, egal ob Musiker, bildender Künstler oder Schriftsteller als Antrieb nennen, nämlich den, der Nachwelt etwas zu hinterlassen und sozusagen ein Stück Unsterblichkeit zu erlangen? (Auf dem Album gibt es auch einen Song namens „Become Immortal“, wobei dieser ja auch rückwärtsgewandt ausgerichtet ist, sozusagen eine Art Rückschau) Denn wie die Menschen in der Zukunft auch immer Musik konsumieren werden, Kreator werden die Leute bestimmt zumindest noch einige Jahrzehnte hören, wenn es Euch nicht mehr gibt. Ist dieser Gedanke in gewisser Weise befriedigend oder beruhigend?

Uff! Ich mache mir über so was keine Gedanken, da ich glaube, dass es mir egal sein wird, ob die Leute immer noch Kreator hören werden, nachdem ich diesen Körper verlassen habe. Es ist jedenfalls sehr schön, dass wir während unserer Lebenszeit den Menschen mit unserer Musik Spaß bereiten können.

Die letzten Worte gehören Dir! 

Danke für das Interview.