Wednesday, April 2, 2025

Filmrezension "Des Teufels Bad"

"Und weil ich vor Verdruß recht müde war dieses Lebens, so kam mir in den Sinn, begehe einen Mord." -Zitat zu Filmbeginn

"Des Teufels Bad" ist ein österreichisch-deutscher Spielfilm des Regisseuren-Duos Veronika Franz und Severin Fiala aus dem Jahr 2024, der diverse Filmpreise, u.a. den Silbernen Bären der Berlinale, gewinnen konnte und als österreichischer Beitrag für die Oscarverleihung 2025 ausgewählt wurde. Der Film thematisiert ein wohl den meisten bisher unbekanntes Phänomen der Neuzeit, und zwar den quasi-Suizid über den Umweg Mord. Diese meist von Frauen an Kindern begangene Taten resultierten aus der damaligen Haltung der Kirche, dass Selbstmord ein unverzeihliches Verbrechen sei, welches per se den "Weg in den Himmel" versperre und den Lebensmüden insofern ewige Höllenqualen drohten. So fanden hier einige Menschen die "kreative" Lösung, einen Mord zu begehen, um an ihr Ziel zu gelangen: dies gipfelte zum einen so gut wie immer mit der Hinrichtung der Delinquenten, zum anderen konnten die geständigen und reuigen Sünder nach der Absolution durch einen Geistlichen als geläuterte Seelen in den Himmel gelangen. 

So spielt auch der zweistündige Spielfilm, dessen Handlung in diesem Sinne lose auf historischen Gerichtsprotokollen beruht, in der Zeit um 1750 in einer ländlich-bäuerlichen Gegend in Oberösterreich. Die frischverheiratete Agnes (sehr gut gespielt von Anja Plaschg, die unter dem Namen Soap&Skin Musik kreiert, u.a. auch den Soundtrack zu diesem Film), eine sensible und hochreligiöse junge Frau, fühlt sich in ihrer neuen Umgebung fremd und nicht angenommen, leidet unter der strengen Arbeitsmoral der Schwiegermutter und der Gefühlskälte ihres Mannes. Als ihre Depressionen (damals eben als "Des Teufels Bad" bezeichnet) immer stärker werden und Agnes "fort von dieser Welt" will, sieht sie nur noch einen Ausweg, den des mittelbaren Suizids. Einen wesentlichen Beitrag zu Agnes Entscheidung für diesen Weg liefert unfreiwillig der örtliche Pfarrer, als dieser in einer Messe der anwesenden Gemeinde aufgrund eines kürzlich begangenen Suizids erklärt, dass Selbstmord schlimmer als Mord sei und der Leichnam nicht begraben werden könne.

Der Film erzählt in ruhigen und eindrucksvollen Bildern vom aus heutiger Sicht sehr ärmlichen und trostlosen damaligen bäuerlichen Leben und dem Leiden von Agnes, aber auch von ihrem Versuch, trotz ihres Verzweifelns an der Welt ihrem Leben etwas abzugewinnen. Interessant auch die damaligen Behandlungsversuche: die dämonisierte Krankheit ("Bad des Teufels") verband sich mit einer biologischen Betrachtungsweise, der "Säftelehre" - wie auf obigen Bild zu sehen, soll ein in Agnes Nacken eingeführtes Pferdehaar dazu führen, die krankmachenden Flüssigkeiten abzuführen, psychosoziale Einflussfaktoren als Ursache für Depressionen schienen damals gedanklich wohl Lichtjahre entfernt (hier anbei eine interessanter Artikel zur Betrachtungsweise von Depressionen im Laufe der Jahrhunderte).

Letztlich ist der Film eben auch eine Gesellschaftsstudie der damaligen Zeit und ihren gesellschaftlichen Zwängen, aus denen es kein Entrinnen gibt. In dieser Lesart weist der Film auch Parallelen zu "Das weiße Band" (2009) auf, auch wenn dieser einige hundert Jahre später, kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges spielt. Auch Joseph Vilsmeiers Film "Herbstmilch", welcher seine Erzählung im Jahr 1927 beginnt, zeigt deutliche Parallelen, sowohl hinsichtlich der Rolle der Schwiegermutter als auch in Bezug auf die Schilderung eines arbeitsreichen und äußerst einfachen Lebens. Insofern beschreibt der Film nur eindringlich und verurteilt nicht, nimmt keine Position ein. Folgerichtig und konsequent ist dann auch die im Abspann zu sehende Einblendung, den Film sowohl Agnes Catherina Schickin und Ewa Lizlfellner (diese beiden Frauen dienten als historische Vorlage für die Filmfigur der Agnes) als auch "den Kindern" zu widmen.

Als Bonusmaterial enthält die Blu-ray den Kurzfilm "Die Sünderinnen vom Höllfall" und ein Live Q&A mit dem Regisseursduo, in welchem dieses von dem Umstand berichten, aufgrund einer höchst überschaubaren Anzahl von historischen Quellen, letztlich auch viel künstlerisch-gestalterischen Freiraum genossen zu haben. Die Frage eines Zuschauers, ob damals das Blut von Hingerichteten getrunken wurde, entspricht jedoch wohl historischen Tatsachen. Auch politische Verstrickungen im Hinblick zum Trump-Amerika und dessen Dogmen werden thematisiert, wobei ich persönlich eher ein Freund davon bin, die Dinge auch mal so zu belassen wie sie sind bzw. waren und nicht "künstlich" irgendwelche Querverbindungen in die heutige politische Weltlage zu konstruieren. Wenn überhaupt, böte sich ja eher eine Verbindung zum heutzutage kontrovers diskutierten Thema Sterbehilfe an (diesbezüglich ist ja Ferdinand von Schirachs "Gott" ein interessanter filmischer Ansatz). Weitaus interessanter ist ein ca. 15-minütiges Interview mit der Historikerin Kathy Stuart (hier ein interessantes Zeitungsinterview mit ihr), in welcher sie das Thema dieser "Selbstmord über den Umweg Mord" bzw, "suicide by proxy" näher erläutert. Dies war wohl zu damaligen Zeiten ein relativ häufiges Phänomen, das auch der Kirche bekannt war - um es einzudämmen, sollten die Täter und Täterinnnen vor der Hinrichtung und auch post mortem noch weiter gedemütigt werden, u.a. durch die öffentliche Zurschaustellung des Leichnams. Dieses Vorgehen führte jedoch paradoxerweise dazu, dass  diese Taten noch weiter zunahmen,  da der Buß- und Reueeffekt so noch vergrößert wurde, und man insofern gleichsam dadurch noch sicherer auf der "richtigen Seite", also im Himmel, landen würde. Erst mit dem Wegfall der Garantie und Sicherheit der Hinrichtung verschwand das Phänomen des "suicide by proxy" allmählich. Insgesamt bietet "Des Teufels Bad" also zahlreiche Anknüpfungspunkte zu religionswissenschaftlichen, (regional) geschichtlichen, psychologischen oder juristischen Aspekten.

Das Interview mit Dr. Mark Benecke bringt allerdings nur wenig Erhellendes-er mag einer der renommiertesten Kriminalbiologogen sein und erzählt hier etwas über Madenbildung bei Leichen, ansonsten kann er im Grunde nicht viel mehr beitragen als aus dem Nähkästchen zu plaudern - etwa über seine Erfahrungen als Kind in Bayern und die Erzählungen, dass Selbstmörder außerhalb des Friedhofs beerdigt wurden. Ein Umstand- der je nach Generation- bestimmt einigen noch durch die Erzählungen von  Eltern oder Großeltern bekannt ist. Einen interessanten Punkt nennt Mark Benecke allerdings: er sei im Laufe seiner Arbeit immer wieder hochreligiösen Leuten begegnet, die tatsächlich eine riesige Angst vor der Hölle gehabt hätten. Beneckes Schlussfolgerung, in Bezug auf die damaligen Fälle,  es sei "sinnvoll" gewesen, diese Höllenangst durch das hier geschilderte Phänomen, "auf die Art zu umgehen" kann ich allerdings nur höchst makaber nennen: aus Sicht der Todessehnsüchtigen machte das bestimmt Sinn, allerdings sollte nicht vergessen werden, dass es dabei auch immer Mordopfer gab. Ich möchte ihm hier nichts unterstellen, wahrscheinlich war es nur unglücklich ausgedrückt, unerwähnt wollte ich es jedoch nicht lassen. Und da schließt sich wieder der Kreis zum Thema Dogmen und religiöser Irrsinn: wenn, dann sollte sich in unserer Zeit die Erkenntnis durchgesetzt haben, dass die Hölle ein (Geistes-) Zustand sein kann, aber kein Ort im Jenseits, der nach dem Tod auf Sünder wartet.

Nebenbei bemerkt: einer der Drehorte im Film ist die Burgruine Neuenburg im oberbergischen Lindlar (Nordrhein-Westfalen), dort findet das schaurige Finale statt. Diese ist über den "Lindlarer Sagenweg" einen ca. 15 Kilometer langen Rundweg, auf dem man übrigens auch die ebenfalls aus Filmproduktionen bekannte Wasserburg Eibach passiert, zu erreichen.