Friday, January 7, 2022

INTERVIEW VERHÄNGNIS

Gut Ding will Weile haben  

Im Oktober 2020 entdeckte ich mehr oder weniger zufällig das Bandcamp-Profil einer Band namens Verhängnis, die zwei Veröffentlichungen, ein Demo und ein Album, dort anbot. Faszinierender, grufig-ranziger, schleppender Doomdeath mit hallenden Vocals und expressionistischen deutschen Texten hatte unverzüglich meine Neugier geweckt. Assoziativ kamen mir die legendären Australier von Disembowelment direkt in den Sinn. Ich schrieb die Band an, ob Interesse an einem Interview bestände und hörte erst einmal lange Zeit nichts mehr. Angang 2022 erhielt ich dann plötzlich aus dem Nichts eine Mail, dass meine Nachricht wohl ganz tief im Spamordner versteckt gewesen war. Nun gut, also fast anderthalb Jahre später kann dieses Interview doch noch stattfinden, mittlerweile hat die Band auch ein im Oktober 2021 veröffentlichtes zweites Album namens "Irrlicht" im Repertoire.

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Hallo! Erzähle doch mal bitte etwas mehr zu Verhängnis. Wann genau und aus welchem Anlass heraus folgte die Gründung von Verhängnis?

Hi. Erstmal Danke für die Einladung zum Interview. Da muss ich direkt ein bisschen weiter ausholen. Ich spiele seit längerer Zeit in diversen Bands und beschäftige mich seit einigen Jahren auch mit Aufnahmetechnik und Musikproduktion. Zusammen mit einem meiner engsten Freunde bin ich ungefähr 2015 spontan in den Proberaum gegangen und wir haben ohne große Vorkenntnisse, mit einfachen Mittel und viel Experimentierfreude die Demo für unser damaliges Zwei-Mann-Projekt Kriegszittern aufgenommen. Mit der Zeit kam immer mehr Equipment und Erfahrung dazu und ich hab angefangen mit Synthesizern, Drumcomputern und MIDI zu arbeiten. Irgendwann 2018 hab ich dann angefangen die beiden Bereiche zu verbinden und die Songs aufgenommen, die später einmal Finsternis und Abgrund heißen würden. Ich hatte keine feste Idee in welche Richtung die Sache gehen sollte und hab einfach ausprobiert. Nachdem ich in den nächsten zwei Jahren immer mal wieder an den beiden Songs rumgebastelt hab, aber eigentlich genug anderen Kram zu tun hatte, kam dann 2020 die Pandemie und alles war erstmal auf Eis gelegt.
Da ich trotzdem noch die Möglichkeit hatte den Proberaum zu nutzen, habe ich mich wieder an die beiden Aufnahmen gesetzt und schlussendlich sind daraus die Lieder der ersten Demo entstanden. Der Motivationsschwung hat dann gereicht um weiter an dem Projekt zu bleiben und so habe ich dann in relativ kurzer Zeit das erste Tape komplett alleine, mit programmierten Drums eingespielt. Das war im Prinzip wie eine fließende Bewegung und die Konsequenz aus der allgemeinen Situation.


Verhängnis scheint ja eine Ein-Mann-Band zu sein. Lediglich auf dem neuesten Release hast Du Dir ja einen Drummer namens Ben zur Verstärkung geholt. Du selbst scheinst eher in der Anonymität verschwinden zu wollen und benutzt das stimmungsvolle Pseudonym „Elend“, oder? Ist das eine ganz bewusste Entscheidung, und wenn ja, aus welchem Grund? Gibt es weitere Bands und Projekten bei denen Du beteiligt bist oder warst? Vielleicht noch ein kurzer Abriss Deiner musikalischen Sozialisation und welcher Jahrgang Du bist, das hängt ja oft stark zusammen.

Genau, ich habe auf den ersten beiden Releases noch den Drumcomputer benutzt, für das zweite Tape sollte dann aber doch ein Mensch die Drums einspielen.
Wie schon gesagt, bin ich noch bei Kriegszittern dabei, was eher in die Richtung alter rumpeliger England Death Metal a la frühe Benediction oder Bolt Thrower geht; Necronom, sehr langsamer Erdloch-Doom und Morsch sind auch noch zwei Combos in denen ich zur Zeit involviert bin. Dazu kommen noch ein paar Hardcore Punk Bands wie HPSS. Insgesamt sind das knapp 7-8 Bands, die aktiv sind, ein paar sind nur Solo- oder 2-Men Kram. Das wissen auch die meisten, die mich kennen.

Ich versuche durch die Anonymität im Internet eher den Fokus auf die Musik zu legen. Die Leute sollen sich die Lieder unvoreingenommen anhören und die Musik nicht als Nebenprojekt von XY abstempeln. Und natürlich erzeugt das auch eine gewisse Stimmung und Mystik um die Band.

Ich bin Ende der 80er geboren und mit knapp 13/14 erst zu Punk, dann Crust und schließlich Metal gekommen.

Untypischerweise gibt es neben dem Bandcamp Account keine Facebookseite für Verhängnis. Hängt das mit oben genannten Punkten (Medienabstinenz / Anonymität) zusammen?

Ja und nein. Ich hab privat auch keine Socialmedia-Accounts und will auch nicht damit anfangen. Solche Plattformen wie Instagram und Facebook sind Gift für die Szene und befeuern nur die kurzlebige Aufmerksamkeitsgier der Menschen. Bandcamp ist noch verschmerzbar. Ich regel fast alles über E-Mail, auch wenn da schonmal was bei hängen bleibt und ich knapp ein Jahr brauche um zu antworten. Das kann dir aber auch bei den oben genannten passieren.
Dadurch hab ich auch einen kleinen Filter, da nicht alle sofort Zugriff auf die Musik haben und die, die wissen wo sie suchen müssen trotzdem auf ihre Kosten kommen.

Wenn ich Verhängnis höre, kommen mir Bands wie Disembowelment, Asphyx, Evoken oder Encoffination in den Sinn. Was waren und sind Deine Einflüsse in diesem Bereich bzw. Deine Favoriten? Irgendwelche Geheimtipps in diesem Bereich, gerade im Doomdeath-Bereich war es ja immer recht überschaubar im Gegensatz zu „konventionellen“ DM-Bands.


Ich bin grundsätzlich großer Fan des skandinavischen und britischen Death Metals. Pflicht sind Bands wie Rippikoulu, Decomposed, Eternal Darkness, Crypt of Kerberos, frühe Paradise Lost (Demos), frühe Sentenced (Demos), Moondark, Inversus und so Sachen. Delirium aus Holland kann ich sehr empfehlen. Sororicide aus Island begleiten mich schon ewig. Auch wenn das alles nicht direkt als Death-Doom gezählt werden kann hat mich der Sound doch massiv beeinflusst.

Grundsätzlich schätze ich frühe 90er Demo-Produktionen mit unterirdischem Sound sehr.

Generell gefällt mir persönlich die gruftige und ranzige Atmosphäre Deiner Musik. Eben die Antithese zu sterilen, klinischem und technischen Death Metal. Wie sieht Du das? Magst Du auch eher nur ursprünglichere und rohe Sachen? Generell sind solche Sachen ja seit geraumer Zeit auch wieder verstärkt nachgefragt, auch wenn ich beispielsweise an Labels wie Maggot Stomp denke.

Wie gerade schon gesagt bevorzuge ich den finsteren Demosound der 90er. Mittlerweile gibt es natürlich einige Bands, die diesen Stil zu imitieren versuchen. Einige schaffen das ganz gut. Aber der reale Shit ist halt der reale Shit.

Die Vorliebe kommt auch durch meiner musikalischen Entwicklung. Hochglanzpolierte Reagenzglasbands hab ich praktisch nie gehört und kann damit wenig anfangen. Die haben sicher auch ihre Berechtigung, aber es ist nicht mein Ding.

Wie waren die bisherigen Reaktionen auf Deine Musik? Ich habe gesehen, dass das Rock Hard ein Album / Demo sehr gut besprochen hatte. Hattest Du das dort hingeschickt oder doch das Label?

Im Allgemeinen bekomme ich ganz gute Rückmeldungen. Da ich mich nicht viel im Internet bewege bekomme ich auch nicht so viel mit, allerdings sehe ich schon, dass die Releases auf Youtube hochgeladen werden und auch da fällt die Resonanz meistens positiv aus.

Dass das erste Tape im Rock Hard gelandet ist hatte freundschaftliche Gründe. Von mir aus würde ich keine Musik verschicken, wenn nicht vorher Interesse bekundet wurde.

Bist Du Tape-Liebhaber und daher die Limitierung auf dieses Medium? Warum keine CD? Würdest Du andererseits gerne Verhängnis auf Vinyl veröffentlichen? Und genügt Dir dieses Level oder würdest Du Verhängnis bei passender Gelegenheit doch gerne auf ein etwas größeres Podest hieven, vielleicht sogar ein Plattendeal mit einem etwas größeren Undergroundlabel? Denn die Qualität hat die Musik ja zweifelsohne.

Danke. Haha. Ich bin da eigentlich recht offen. Da im Moment ein gewisser Engpass bei der Plattenproduktion herrscht mach ich mir aber wenig Hoffnung. Klar, wäre ein Vinyl-Release super. Tapes tun es aber auch. Die haben etwas ursprüngliches.

CDs finde ich tatsächlich weniger gut. Habe bisher nur einmal damit zu tun gehabt und das war eher schlecht.

Falls sich ein entspanntes Label meldet, werde ich sicher auch nicht nein sagen. Auf feste Verträge hab ich aber keine Lust. Wenn ich neue Sachen produziere, dann passiert das, wenn nicht, dann nicht. Ich lass das eigentlich einfach so passieren. Mir ist auch klar, dass so kein kommerzielle Label arbeiten kann, aber dann ist das halt so.

Wer hat die stimmungsvollen Cover gezeichnet?

Das war auch ich.

Schaue ich mir die Texte an so könnte man sagen, dass es keine für den Death Metal untypischen Texte sind, nur eben auf Deutsch. Teilweise fühlte ich mich durch die kurzen, prägnanten Texte an Totenmond erinnert, von der Stimmung teilweise an H.P. Lovecraft. Gibt es für die Texte besondere Einflüsse bzw. auch für das Gesamtpaket Verhängnis-auch Dinge neben Musik, Büchern oder Filmen?

Ich habe für Verhängnis eigentlich keine konkrete Inspirationsquelle. Das meiste entnehme ich der Natur und meiner Umgebung. Die meisten Texte haben irgendwas mit Tieren zu tun. Es geht oft um Insekten, Zersetzer, Tiefseebewohner, Parasiten und sowas. Das kommt häufig mal aus Dokus oder aus Beobachtungen. Ich beschreibe kleine Alltagssituationen, die aus dem richtigen Blickwinkel verhängnisvoll erscheinen. Irrlicht handelt eigentlich von einer Wespe, die in einen Deckenstrahler fliegt und dort verbrennt. Auf den Text von "Saprobiont" bin ich gekommen als mir ein Pfirsich verschimmelt ist. "Hämatophag" beschreibt die Interaktion mit einer Mücke im Schlafzimmer.

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"Es kommt auf den Blickwinkel an, aus dem das Irrlicht betrachtet wird und was es für einen selbst ist. Mal ist es das Licht am Ende des Tunnels, mal ist es ein Zug, mal lockt ein Anglerfisch Beute, mal ein Leuchtkäfer ein Weibchen an."

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Der Text von "Hypothermie" besteht aus einer Aneinanderreihung von Alliterationen. Bist Du ein Fan bestimmter Gedichte oder Autoren? Und ist der Albumtitel "Irrlicht" im Kontext mit den Texten und dem Cover möglicherweise so zu verstehen, dass das Leben an sich ein Art Irrweg, eine Reise ohne Ziel und Sinn ist, also eine sehr nihilistische Aussage?

Ich beschäftige mich tatsächlich eher wenig mit Gedichten oder anderer Literatur. Ich versuche eigentlich meine eigenen Quellen zu finden und nicht das bereits ausgedachte für die Texte zu verwenden. Bei "Hypothermie" wollte ich einfach mal dieses Stilmittel ausprobieren. Ein bisschen merkwürdig ist es unterm Strich doch geworden, aber ich bin mit dem Endergebnis zufrieden.

Die meisten Texte haben auch eine gewisse Mehrdeutigkeit. Die Cover sollen das auch widerspiegeln. Da gibt es auch kein Richtig oder Falsch. Es kommt auf den Blickwinkel an, aus dem das Irrlicht betrachtet wird und was es für einen selbst ist. Mal ist es das Licht am Ende des Tunnels, mal ist es ein Zug, mal lockt ein Anglerfisch Beute, mal ein Leuchtkäfer ein Weibchen an.

Kann schon sein, dass wir im Leben Irrlichter hinterherjagen. Es gibt sicher viele, die uns anlocken und an denen wir uns dann verbrennen. Das einzige was aber sicher ist, ist der Tod am Ende der Reise.

Die letzten Worte gehören Dir!

Danke für das Interview, danke für den Support. Weiterhin viel Erfolg mit dem Systematic Desensitization Zine! Ich hoffe ich konnte die ein oder andere Frage zufriedenstellend beantworten. Stay Death!