Wednesday, February 7, 2018

SHORT STORY

Diese (unbetitelte) Kurzgeschichte verfasste ich während nicht enden wollender Zivildienst-Tage im fernen Jahr 1999. Auf diese Weise erblickt sie dann doch noch das Licht der Welt...

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Als er nach Hause kam, war sie nicht da. Lediglich ein Zettel lag auf dem Küchenboden, wohl heruntergeweht vom Luftzug des halb geöffneten Fensters. Langsam und halb benommen ob dieser vollkommen unerwarteten, ja unverschämten Abweichung seines gewöhnlichen Tagesablaufes, las er die in krakeliger Schrift hingeschmierten Worte, die darauf schließen ließen, dass sie es eilig gehabt hatte.  Das Essen steht im Kühlschrank. Mach es warm auf 175 Grad.
Komme vielleicht heute Abend wieder.

Wie konnte sie ihm dies antun ? Wie konnte sie es wagen, die sorgsamst gehütete und ihn wie ein Kind beschützende Monotonie seines Alltages zu durchbrechen ?
Ihn überkam ein Schwindelanfall; die Küche mit den meerblau getünchten Wänden und orange-gelben Vorhängen begann sich zu drehen. Er taumelte und stürzte vorwärts, streckte die Arme aus, fasste ins Leere, und dann, nach einer Ewigkeit griffen seine Hände Stoff. Doch die Vorhänge, welche sie mal als Sonderangebot im Supermarkt vor der Stadt erworben hatten, und die, da sie gleich beim Einzug aufgehängt worden waren, ihm als Garant dieser Unveränderbarkeit erschienen waren, gaben nach, das Aufreißen der Nähte schallte wie ein Donnerschlag in seinen Ohren.
So lag er nun am Boden, über ihm, aufgetürmt wie ein gezackter Felsgrad, der gelbe Stoff des Vorhanges.

Sie kam erst, als es schon dunkel war. Zuerst hatte er sie gar nicht gehört, nur das Knarren des Holzbodens, auf dem sie sich fortbewegt haben musste, hatte ihn aus seiner schützenden Bewusstlosigkeit gezerrt, deren Ursache ihm nun schmerzlich in Erinnerung gerufen wurden.
Da lag er nun also und lauschte ihren leichten, unbeschwerten Schritten, wie ein Raubtier, das seiner Beute auflauert, bereit , augenblicklich eine Existenz auszulöschen.
Schließlich ging sie ins Bad. Er hörte, wie sie die Tür hinter sich schloss, den Schlüssel umdrehte, das gurgelnde Geräusch des Wasserabzuges, dann war es plötzlich still. Er begann fieberhaft zu überlegen, was sie machte; doch diese Überlegungen wichen bald der grenzenlosen Wut über ihr für ihn so schmerzliches Verhalten. Sie hatte ihm eine Wunde zugefügt, die eine Narbe hinterlassen würde- er hatte sich vorgestellt, wie sie reuig, sich ihrer niemals wiedergutzumachenden Schuld bewusst, mit langsamen, zögerlichen Schritten ihr Heim betreten würde.
Und nun ging sie seelenruhig durch die Wohnung und tat so, als sei nichts geschehen, gleichwohl sie wusste, dass er anwesend war, war er doch, seitdem sie zusammenlebten, niemals abends weggegangen.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er das Klicken des Schlüssels im Schloss vernahm.
Dann, nachdem sie das Bad verlassen hatte und den Flur mit schnellen, leichten Schritten passierte, blieb sie stehen.
"Schatz?!"
Er war unfähig, etwas zu sagen, brachte schlichtweg keinen Ton mehr hervor: Nach allem was sie ihm angetan hatte, wagte sie es, ihn so anzureden !
Dann kam sie und stand auch schon im Türrahmen. Ihre blonden Haare, die, wie er jetzt zu seinem eigenem Erstaunen erkannte, ziemlich verschnitten waren, hingen ihr ins Gesicht, bis unter die Mundwinkel; dennoch erkannte er, dass sie lächelte. Sie lächelte ! Als ob sie ihre unverzeihliche Schuld allein durch ihre ebenfalls schon unerhörte Begrüßung abgetragen hätte !
Langsam erhob er sich; es schien ihm fast, als hätte hier ein sonderbarer Rollentausch stattgefunden; er; unterwürfig am Boden liegend und sie, die milde Richterin, die Gnade vor Recht ergehen lässt. Dabei war es doch er, der richten wollte, und nur er konnte vergeben.
Aber das wollte er gar nicht, er hatte es niemals gewollt, ja, noch nicht einmal in Erwägung gezogen. Eine so radikale Tat bedurfte einer ebenso radikalen Bestrafung !
Das große Küchenmesser, an dem noch einige Körner vom Biobrot, daß sie so mochte, klebten, schien ihm förmlich von selbst in die Hand zu gleiten. Er musste lächeln; ihr Dinkelbrot und der sonstige Bio-Scheiss, der seiner Meinung nach nur ein einziges ihn von gewöhnlichen Lebensmitteln unterscheidendes Kriterium, nämlich den Preis, besaß, würde ihr Leben also auch nicht verlängern können.
Kurz bevor er zum ersten Mal zustach, sah er ihr nochmals in die Augen. Er hatte erwartet, in dieser einen Sekunde in angst- und schmerzverzerrte, oder zumindest, da ihr klar sein musste, daß es sich hier um die letzte Gelegenheit handelte, um Verzeihung bittende Augen zu blicken, aber immer noch lächelte sie !
Als das Messer in ihren Unterleib glitt wie eine Forelle im Bach war ihm, als wäre diese riesige unerträgliche Last, welche er zumindest für einige Minuten hatte tragen müssen, von ihm abgefallen. Sein Mordwerkzeug in ihrem Bauch erinnerte ihn an den großen Löffel, mit dem er als Kind immer den gelben Vanillepudding seiner Großmutter, der bei seinen Spielkameraden so beliebt gewesen war, umgerührt hatte.
Sie röchelte und ging zu Boden. Er, in wilder Besinnungslosigkeit, stach immer weiter auf sie ein. Wie schön doch diese roten Rinnsale waren, die sich immer weiter ausbreitenden roten Flecken ! Die wenigen weißen Stellen, die noch nicht gefärbt waren und die ursprüngliche Farbe ihres billigen Sommerkleides zeigten, mussten auch noch dieses wunderschöne Rot annehmen !
Und so setzte er sein Werk fort, auch er war schon blutverschmiert; manchmal spritzte ihm etwas Blut ins Gesicht, diese Momente genoss er in besonderem Maße und fuhr sich mit der Zunge um die Mundwinkel, versuchte, den Radius der Zunge zu vergrößern, als wäre das Blut ein kostbarer Wein, der verschütt gegangen wäre und von dem es nun galt, noch so viel wie möglich zu retten.
Wie schön sie doch aussah, mit ihrem roten Kleid, liegend in ihrem Blut, von dem sie immer mehr verlor.
Sie wirkte so frisch, so jung, so aufregend.

Zum ersten mal seit Jahren wusste er wieder,
warum er sie geheiratet hatte.