Thursday, March 22, 2018

INTERVIEW DORNENREICH

"Dabei scheint Kunst generell immer wieder zu großen Teilen aus einer inneren Mangelerfahrung geboren und irgendwann, wenn die Bewusstwerdung voranschreitet, wird es möglich, dass sie aus innerer Fülle geboren wird." (Eviga/ Dornenreich)

Es gibt Interviews, die dazu führen, dass wenn man das Endresultat in den Händen hält (konkreter gesagt vor allem die Antworten), man direkt wieder spürt, warum man das Ganze unentgeltlich in seiner Freizeit macht. Dieses nun vorliegende Interview ist solch ein Beispiel, aber ehrlich gesagt hatte ich im Falle von Dornenreich auch nichts anderes erwartet, hatte ich von Bandkopf Eviga schon in der Vergangenheit einige interessante, tiefgründige und zum Denken anregende Sichtweisen wahrgenommen. Vielen Dank nochmals an Eviga, der dieses Interview trotz der momentanen Tour sehr ausführlich beantwortete. 


Was passiert momentan im Dornenreich-Lager? Ihr spielt ja momentan eine Tour, die auch in einigen Kirchen Halt macht. Hättet Ihr Euch das zu Euren Black Metal-Zeiten mal träumen lassen, auch wenn ihr schon damals nie die Black Metal - Klischees erfüllt habt? Und das nächste Album ist ja auch schon im Entstehungsprozess, was könnt Ihr zum jetzigen Zeitpunkt dazu sagen?

Bis April steht im Moment alles im Zeichen der laufenden Mystic-Places-Tour, die uns an nahezu jedem Wochenende in europäische Metropolen führt. Und unsere bisherigen Erfahrungen waren atemberaubende. Für uns sind Kirchen schlicht und ergreifend – und letzten Endes überkonfessionell gedacht – Orte tiefer Spiritualität. Und der Klangcharakter solcher Räumlichkeiten verbindet sich natürlich sehr, sehr gut mit unserem Ausdruck, der im Kern intensiv, mystisch und zeitlos ist.

Dass wir je in Kirchen spielen würden, hätten wir uns – sagen wir – zu unseren Demo-Zeiten gewiss nicht vorstellen können, ich denke aber, dass wir schon damals erfreut gewesen wären, wäre uns diese Möglichkeit geboten worden, denn wir waren, - wie du es ja bereits trefflich angedeutet hast -, nie eine Band, die sich im Rahmen irgendwelcher Genreklischees bewegte.  
Noch sind wir mitten in der finalen Ausarbeitung der Arrangements und so kann ich zu diesem kommenden neunten Album, das den Arbeitstitel "Du wilde Liebe" sei trägt und das mit großer Wahrscheinlichkeit erst in der zweiten Jahreshälfte 2019 erscheinen wird, im Moment lediglich sagen, dass es eine Klangwelt bieten wird, die in ihrer höchst individuellen Verbindung verschiedener Klangquellen durchaus als einzigartig zu bezeichnen sein wird. Und anfügen kann ich hier vielleicht noch, dass es hinsichtlich seiner stilistischen Vielfalt ein klassisches Dornenreich-Album sein wird und auch hinsichtlich der Tatsache, dass wir uns auch mit diesem Album auf manchen Ebenen neu erfinden werden…



Vor ziemlich genau zwanzig Jahren kaufte ich mir das Dornenreich-Debüt "Nicht um zu sterben".
Ich erinnere mich noch genau, wie ich es damals in meiner Zivildienstzeit kaufte 
und aufgrund eines Mangels an anderen Möglichkeiten während der Arbeitszeit im angegliederten Dritte-Welt-Laden hörte...
Ich finde es immer noch sehr gut. In diesem Fall, so wie bei einigen anderen Alben weiß ich aber nicht genau, ob da auch Nostalgie im Spiel ist und wenn ja, wie hoch deren Anteil ist. Kennst Du dieses Phänomen?


Sehr gut sogar. Dabei bin durchaus davon überzeugt, dass es gerade der Umstand ist, wann ein gewisses Stück oder Album in unser Leben tritt, der dann bestimmt, welchen Stellenwert es in unserem Leben – und im Speziellen eben auch in der Rückschau – einnimmt, zumal diese Musik für immer mit den Bildern und Gefühlen dieser Zeit verwoben sein wird. Selbst nutze ich das manchmal ganz bewusst, will meinen: ich versuche gezielt, mir auf speziellen Reisen oder im Rahmen bestimmter Begegnungen neue Musik in mein Leben zu holen, die in mir in der Folge eine ganz besondere Verbindung mit meiner Erinnerungswelt eingeht.

Und um auf deine Frage zurückzukommen, ja, ich selbst kann mir den Umstand, dass manche Alben aus dem Jahre Schnee (umgangsprachlich in Österreich für "aus ferner Zeit" - musste sicherheitshalber auch erst googlen-Anm. des Verfassers) mich noch immer so tief bewegen, wenn ich sei erneut höre, nur damit erklären, dass sie eben mit einem bestimmten prägenden Lebensabschnitt verbunden sind, denn würde ich diese Alben etwas objektiver wahrnehmen oder auch nur erst jetzt kennenlernen, würden sie mich in vielen Fällen wohl eher kalt lassen…

Welche Erinnerungen habt Ihr eigentlich an diese Black Metal-Vergangenheit? Gerade in diesem Kontext gab es ja einige Bands, die dieses "Körper als Kerker"-Konzept hatten (wie es ja schon Platon formulierte): Die Seele erlange quasi erst mit dem physischen Tod Freiheit und ihre wahre Bestimmung und wird vom weltlichen Schmerz und Trübsal befreit... Abigor hatten auch einige Texte in diese Richtung....Desweiteren hatte ich oft den Eindruck, dass Misanthropie im Black Metal oft Thema war, eben weil da sensiblere Gemüter unterwegs waren bzw. sind, die erkannt bzw. gefühlt haben, wie gedankenlos und egoistisch viele Menschen sind (und insofern eigentlich das genaue Gegenteil vom "bösen Black Metaller" waren/sind).

Im Rückblick will mir vieles als halbbewusster Versuch erscheinen, die erwachende, starke Emotionalität unserer Jugendlichkeit in Richtung Kunst zu verschieben.

Dabei scheint Kunst generell immer wieder zu großen Teilen aus einer inneren Mangelerfahrung geboren und irgendwann, wenn die Bewusstwerdung voranschreitet, wird es möglich, dass sie aus innerer Fülle geboren wird. In diesem Spannungsfeld bewegen auch wir uns gewiss. Viele unserer ersten Schritte mögen heute wie Eskapismus anmuten, jedenfalls aber waren diese Schritte, die wir damals taten, wichtige Ausrichtungs- und Anhaltspunkte, selbst wenn manche Inhalte auch noch so dunkel waren, so war das Befasstsein mit der künstlerischen Annäherung an die – ich nenne es mal – ‚letzten Dinge‘ allemal konstruktiver, lehrreicher und lebbarer als mancher Pfad, den man als unsicherer und suchender Teenager nehmen kann (- etwa Drogenmissbrauch oder leerer Konsum aller Art…).

Daran anschließend: ich meine mich zu erinnern, dass ihr in einem Interview vor vielen Jahren mal gesagt hattet, dass ihr in die Berge geht und euch dort manchmal unter Wasserfälle stellt, gerade wegen des Risikos, dass Gesteinsbrocken mit dem Wasser mitkommen und somit die Gefahr besteht, erschlagen zu werden - quasi das Leben in seiner puresten Form, dem Augenblick, zu erleben. Hattet Ihr das wirklich getan (und wenn ja, war das Risiko wirklich nicht so niedrig ) oder war das eher imageorientiertes Gerede (auch wenn ich Dornenreich sonst in der Außendarstellung nie so empfunden hatte). Auch Lunar Aurora sprachen davon, der im Black Metal stets präsente Tod mahnt uns, das Leben zu genießen...

Ich habe die Passage nicht mehr ganz genau im Kopf, kann mir aber lediglich vorstellen, dass ich sagte, dass wir das trotz (!) der Gefahr der mitfallenden Brocken taten, denn unser Leben war uns tatsächlich immer schon viel wert. Doch natürlich war das Risiko von Steinschlag in der Schlucht, in der wir uns damals immer wieder einfanden, in erhöhtem Maß gegeben und zusätzlich zur enormen Kälte und Wucht des schmelzwassergetränkten Wasserfalles intensivierte diese Gefahr freilich jene Momente in freier Natur.

Betrachtet man Eure Albencover, so fällt auf, dass ein häufig wiederkehrendes Motiv ein Horizont bzw. eine einsam wirkende Person vor einem Horizont ist. Das Individuum, das letztlich doch trotz aller menschlichen Bindungen ganz allein zurückgeworfen auf sich selbst ist - mit all seinen Ängsten; ist das die Aussage ? Und wart bzw. seid ihr vom Existentialismus beeinflusst? Gerade das Album "Freiheit" im Kontext mit dem Cover ruft direkt diese Assoziation hervor. 

Es geht tatsächlich im Kontext vieler unserer Alben um dieses immer wieder auf sich selbst gestellte menschliche Individuum, ja. Und, ja, von Beginn an versuchte ich, mich im konzeptionellen Rahmen von Dornenreich mit existenziellen Fragen und Mysterien des Seins auseinanderzusetzen. Gerade auf Alben wie "Bitter ist’s, dem Tod zu dienen", "Her von welken Nächten", "Durch den Traum", "In Luft geritzt" und schließlich "Freiheit" geht es ganz stark um die Verfasstheit des menschlichen Inneren und seinen Platz in der äußeren Welt.

Welche Kontakte bestehen heutzutage noch zu Bands bzw. Musikern aus den alten Black Metal-Tagen? Die alte österreichische Black Metal-Szene bot hohe Qualität und hatte etwas Eigenes, auch wenn ich das nur diffus fühle und nicht konkret stilistisch benennen kann. Abigor, Heidenreich, Summoning, Golden Dawn, Angizia, Amestigon, Korova / Korovakill, Third Moon, Raventhrone... wobei viele Leute ja auch in zwei oder drei Bands parallel spielten, ich glaube die Anzahl der aktiven Musiker war recht überschaubar. Christof Niederwieser von Korova hat einen Doktortitel erlangt und führt ein Institut für "Astrologische Unternehmensberatung", wenn ich richtig informiert bin...Bist Du über sonstige Lebenswege, gerade ehemaliger Leute diesbezüglich informiert?

Mit dem erwähnten Christof Niederwieser bin ich tatsächlich noch freundschaftlich verbunden, war er doch – gerade auch in Demo-Tagen – ein wichtiger Begleiter unserer Bandgeschichte, was natürlich damit zusammenhing, dass unser Drummer Moritz/Gilvan auch bei Korova(kill) spielte und wir uns mit Korova(kill) den Proberaum teilten.

Auch mit Michael/Engelke stehe ich freilich noch Kontakt, bin ich doch bis heute ein Teil von Angizia.

Einigen Mitgliedern von Abigor und Third Moon begegne ich hin und wieder, wenn ich in Wien weile oder auch im Rahmen spezieller Konzerte. Was die österreichische Szene aus meiner Sicht insbesondere auszeichnete war und ist tatsächlich die – stilistisch wie inhaltlich – grenzüberschreitende Herangehensweise, mit der wir uns eben auch wechselseitig inspirierten und zum Teil wohl bis heute inspirieren.

Ich finde ja, die alte Szene hatte immer noch irgendwie etwas Geheimnisvolles, Mystisches. Auch wenn ich das Internet sehr schätze, und das Schreiben von E-Mails (auch dieses Interview wäre vor über 20 Jahren nicht so einfach verlaufen) und die Möglichkeit, unkompliziert in neue Musik reinzuhören ein Fortschritt ist, vermisse ich dennoch manchmal den Spirit dieser alten Tage. Man konnte nicht durch Suchmaschinen in kürzester Zeit Privates über bestimmte Musiker erfahren (vorausgesetzt der bürgerliche Namen ist bekannt) und auch ansonsten war manches „gefährlicher“ (wenn vielleicht auch nach heutigen Maßstäben peinlich oder pubertär). Wie siehst Du dies?

Durchaus ähnlich. Wir haben diesen Spirit noch miterlebt. Briefe schreiben, Szeneneuigkeiten nur aus den einschlägigen (Monats-)Blättern erfahren – und sich riesig über die ersten Sampler-CDs in den Musikmagazinen freuen. Obwohl es – ganz genau genommen – eben dadurch schon damals damit losging, sich ein Album als Gesamtwerk vor dem Release tendenziell zu verderben. Ich kann mich jedenfalls noch allzu gut daran erinnern, dass ich mir etwas das Stück "New World Order" von The Kovenant damals so oft auf der Sampler-CD eines Magazins angehört habe, dass ich es dann im Albumkontext kaum noch hören konnte, weil ich mich schon bis zu einem gewissen Grad abgehört hatte, wenngleich es nun – mit dem Abstand vieler Jahre besehen –  für mich definitiv mit das stärkste Stück des gesamten Albums ist.

Das viele Vorab-Streamen ganzer Alben (!) und die Post-Frequenz vieler Bands, die dann, - um im Wettkampf um die fragwürdige Aufmerksamkeitsgunst eines imaginierten Publikums zu obsiegen -, jede auch noch so triviale Kleinigkeit öffentlich machen, sind in meinen Augen Kardinalfehler im Umgang mit neuen Medien. Künstler (– insbesondere in Genres wie dem Black Metal -) leben eben auch von einem gewissen Geheimnis, leben davon, Leerstellen zu liefern, die das Publikum auffüllen kann, ja soll. So wächst man als Hörer und so bleibt die Band bzw. der Künstler zum größten Teil damit befasst, im Stillen an seinen Werken zu arbeiten.

Nie werde ich persönlich das Gefühl vergessen, das ich als junger Knabe hatte, als ich mich – vom Beutezug im lokalen Plattenladen heimgekehrt – in mein Zimmer zurückzog, um mich ganz dem neu erworbenen Schatz hinzugeben und mir das Album von vorne bis hinten anzuhören und dabei das Booklet mehrfach und bis ins kleinste Detail zu studieren. Das war magisch und diese spezielle Freude am Erwerb und an der intensiven Auseinandersetzung mit einem Werk habe ich mir bis heute bewahrt, wenn ich das eine oder andere Mal losziehe, um mir das neueste Werk eines von mir verehrten Künstlers zu besorgen. Ich gebe also dem Berührt– und Inspiriert-Werden bewusst Raum…

Und in gewisser Weise daran anschließend: Da ich Dornenreich immer als naturverbundene Band erlebt habe und als Band, welche die Ruhe und die Introspektion schätzt: Wie siehst Du die heutige Situation, dass fast alle Leute, sei es in der Bahn oder wo auch immer, ständig auf ihr Smartphone starren? Viele Forscher haben ja schon Belege bezüglich der Auswirkungen: immer niedrigere Aufmerksamkeitsspannen, ständige Social Media-Präsenz lässt die Empathiefähigkeit verkümmern und fördert Narzissmus. Die Kommunikation verkümmert, von abnehmender schriftlicher Ausdrucksfähigkeit, bedingt durch Whatsapp etc. ganz zu schweigen. Ich nutze das auch, habe aber ehrlich gesagt große Bedenken, dass das gravierende negative Auswirkungen haben wird.

Im Grunde liegt es ja auf der Hand, dass etwa Smartphones, die einen ständig aus der unmittelbaren Situation abziehen und vermöge derer man sich beschleunigter und oft äußerst verknappter Kommunikation ausliefert, zu einer inneren – und wohl bis zuletzt nicht in ihrer ganzen Tragweite erkennbaren – Verwahrlosung führen werden. Wir Menschen haben uns aus meiner Sicht letztlich noch keiner technischen Errungenschaft in - für uns oder den Planeten - bekömmlicher Weise bedient und neigen in allem zum Extrem und zur Egomanie.

Und die Entfremdung von der Landbasis, dem natürlichen Lebensraum, der Natur, die Entfremdung von all dem also, dem wir entstammen geht nun – folgerichtig – Hand in Hand mit einer geradezu irrwitzigen Technikgläubigkeit (Stichworte: Industrie 4.0; smart home…), die an die Stelle des offenkundigen spirituellen Vakuums tritt, das längst das bedauernswerte (Nicht-)Zentrum der westlichen Menschheit zu sein scheint. Mein Blick auf den Zustand und die scheinbare Ausrichtung der westlichen Zivilisation ist also zugebenermaßen vorwiegend pessimistisch, doch gerade deswegen sehe ich mich (- und damit jedes menschliche Individuum, das sich in der gesicherten Position gestillter Grundbedürfnisse findet, um sich den tieferen Zusammenhängen gedanklich und emotional annähern zu können -) dazu angehalten, wach und bewusst zu sein, um so in jeweils unmittelbarer Umgebung und Einflusssphäre, das zyklische Lebensganze zu fördern – in Wort und Tat.

Die letzten Worte gehören Dir...

Dir möchte ich für deine Unterstützung und deine anregenden Fragen danken, Gerald – und unserem Publikum da draußen für die ermutigende und kostbare Loyalität, mit der es Dornenreich begegnet und mit der es Dornenreich in der jetzigen Intensität und Präsenz mit am Leben erhält.

Fotos: Peter Grießer