Friday, February 25, 2022

REZENSION "MORGOTH UNCURSED-THE MORGOTH CHRONICLES"

Gut Ding will Weile haben - fast sieben Jahre nach Erscheinen dieser Morgoth -Bandbiographie habe ich mir diese nun auch zu Gemüte geführt. Der Autor Christian Krumm dürfte dem einen oder anderen schon aufgrund der Werke "Kumpels in Kutten -Heavy Metal im Ruhrgebiet" und "Century Media-Do it yourself: Die Geschichte eine Labels" bekannt sein.

Das knapp 270-seitige Werk ist flüssig geschrieben, ich habe es an einem Nachmittag durchgelesen. Der etwas außergewöhnliche Ausgangspunkt besteht darin, dass der Autor die damaligen aktuellen als auch ehemaligen Bandmitglieder und Personen aus dem Umfeld im Rahmen einer Grillparty im Hause eines Bandmitglieds in Dortmund trifft und letztendlich wohl fast alle relevanten Informationen, außer vorheriger Recherche natürlich, im Rahmen dieses Treffens erhält.

Das Buch bietet eine schöne und anschauliche Zeitreise in die goldene Ära des Death Metals, als Bands wie Death, Morbid Angel, Obituary, Pestilence, Bolt Thrower, Unleashed oder Pungent Stench die Jugendzimmer unzähliger heranwachsender Teenager eroberten. 

Vier Freunde aus Meschede, später wird noch ein fünftes Bandmitglied dazukommen, einem beschaulichen Städtchen im Hochsauerlandkreis, möchten ihren Vorbildern Slayer, Krreator und später auch Death nacheifern und gründen eine Band. Die kleinstädtische Enge frustriert die Heranwachsenden. Am Anfang kann niemand eine Instrument spielen, bzw. ist das nötige Equipment nicht vorhanden. Doch mit starkem Willen und gutem Organisationstalent und einigen Ferienjobs der damaligen Gymnasiasten wird relativ zügig gutes Equipment gekauft. Die Band erhält einen Proberaum, auch mit Unterstützung der Lokalpolitik, in einer Schweineschlachterei. Zwar kann ich - zumindest als Freund der vegetarischen Lebensweise- ein gewisses Unbehagen diesbezüglich verstehen, aber mal ehrlich, ein Proberaum in der Schweineschlachterei, mehr Death Metal geht doch gar nicht, oder? Der Proberaum wird mit Fernseher und Kühlschrank ausgestattet und so zu einem Refugium und einer Art temporärer, stundenweiser WG für die Band, der Freundschaft über alles geht und die teilweise wie besessen an fünf Tagen in der Woche probt.

Es folgen weitere Stationen in der Geschichte der Band: Der Besuch bei Kreator (als erste Kontaktaufnahme erfolgte ein Anruf bei Milles Mutter - damals waren Privatadressen und sogar Telefonnummern tatsächlich manchmal noch im Booklet oder auf dem Backcover angegeben), bei dem die noch sehr jungen Metaller, wohl auch aufgrund des martialischen Aussehens, erst einmal von der Polizei am Essener Hautbahnhof einkassiert werden.

Ein vergebliche Reise nach Berlin zum Headquarter von Noise-Records endet im Fiasko, da sich vor der Fahrt wohl jeder auf den anderen verließ und niemand die Adresse aufgeschrieben hatte, so irrte die Band auf dem Kurfürstendamm herum, Noise Records saß in der Kurfürstenstraße. Dies waren die Zeiten als es noch den "Eisernen Vorhang" gab, sprich die junge Band musste beim Grenzübertritt in die DDR kritische Fragen beantworten und auf schnellstem Weg nach Berlin gelangen, Umwege oder Pausen waren nicht erlaubt.

Später nimmt man Kontakt auf zu Robert Kampf, damals noch Sänger bei Despair, und Gründer des noch ganz am Beginn stehenden Labels Century Media. Trotz einiger peinlicher vergeigter "Generalproben" vor den strengen Augen der Despair-Musiker werden später alle Alben bei Century Media veröffentlicht. Die Band trifft die Idole von Death bei einem Konzert, wobei Morgoth noch lange nachhängen wird, diese zu kopieren. Lustig ist auch, dass sich Jahrzehnte später ein Kreis schließt: Despair lösten sich 1993 auf, seit 2017 gibt es sie wieder, mit einem gewissen Marc Grewe als Sänger...

Ein wichtiger Mentor der Band seit den Anfangstagen wird der Gitarrist Dirk Draeger der New Wave-Band Short Romans, die im Proberaum nebenan an ihrer Musik arbeiten und damals schon zu den "Profis" zählen: Airplay auf WDR, Plattenvertrag bei Teldec, Konzerte mit den Toten Hosen und Aufnahmesessions in Otto Waalkes' Aufnahmestudio. Auch wenn musikalisch Welten zwischen den Bands liegen, imponiert Dirk der Wille und die immens schnelle Entwicklung der Band.

Die ungemein schnelle Lern- und Entwicklungskurve der Band wird deutlich, nach den zwei EPs folgt das erste Album "Cursed", das vielen heute noch als Klassiker und Meilenstein des Death Metals gilt. Touren mit Obituary, Demolition Hammer, Kreator und Biohazard folgen. Dies ist noch die Zeit, als es noch kein Internet, keine Navigationsgeräte, keine Handys, geschweige denn Smartphones gab, und Touren oft abenteuerliche Ausmaße annahmen, eine interessantes Beispiel ist, als der Tourvan inmitten der DDR liegenbleibt und endlich ein Dorf gefunden wird, das zumindest über ein (!) Telefon verfügt.

Die Band erhält Airplay bei VIVA und MTV. Nach dem überragendem Erfolg von "Cursed" orientiert sich die Band neu. "Odium" enthält eine stilistische Neuausrichtung, auch wenn die Basis noch im Death Metal zu sehen ist, der zu diesem Zeitpunkt schon seinen Zenit überschritten zu haben scheint. Auf das sichere Pferd zu setzen und "Cursed Teil II" zu machen, hat die Band keine Lust. Generell fällt dies in den Beginn einer Zeitspanne, in der viele Bands, auch gerade aus dem Death- oder Black Metal-Sektor, auf neue Sounds und frische Einflüsse aus Industrial/Electro oder Gothic setzen, man denke beispielsweise an Tiamat (mit denen Morgoth auch tourten), Samael, Cemetary, Desultory oder auch Kreator.

Ein wichtiger Punkt wird angesprochen, an den ich mich auch noch erinnere: der Band wurde oft vorgeworfen, ein Liebling der Presse zu sein, den Erfolg nur durch enorme Unterstützung der Presse, insbesondere durch das Rock Hard, erlangt zu haben, des weiteren seien Morgoth arrogant. Rückblickend wird deutlich, dass Neid und auch Missverständnisse für dieses Image sorgten.

Nun setzt langsam, zumindest bezüglich kommerzieller Aspekte, der Rückschritt ein, "Odium" verkauft sich nicht mehr so gut wie "Cursed". Die Band hält an dem Album fest. Nach einigen privaten und beruflichen Neuorientierungen wie die Aufnahme von Studiengängen und einer Pause erscheint schließlich "Feel sorry for the fanatic", das wohl kontroverseste Album der Diskographie, das einen Großteil der Fans nicht mehr mitnehmen konnte. Auch an jenem besagten Grillabend, der als Ausgangspunkt für das Buch diente, gehen die Meinung auseinander, ob man diese Album vielleicht nicht doch besser unter einem anderen Namen hätte veröffentlichen sollen. Der Albumtitel selbst ist übrigens, auch wenn es manch Journalist gerne so gesehen hätte, keineswegs als Anspielung auf die möglicherweise vorauszusehenden heftigen ablehnenden Reaktionen eines Teils der Morgoth-Anhängerschaft zu verstehen. Das Album floppt verkaufstechnisch, eine gemeinsame Tour mit den Krupps und Richthofen (die liefen damals unter dem dämlichen Sammelbegriff "Neue deutscher Härte"-erinnert sich noch wer?), macht der Band deutlich, dass das Publikum nicht so wirklich Interesse an Morgoth hat. Dazu kommen diverse Genussmittel, deren übermäßiger Konsum Frust und fehlende Euphorie kompensieren soll. Dies im Kontext mit anderen Faktoren führt zum vorläufigen Ende der Band, der die Freundschaft unter den Beteiligten immer wichtiger zu sein schien als Erfolg oder Plattenverkäufe.

Das Buch endet mit der Vorschau auf "Ungod", das letzte Werk Morgoths, das eine fulminante Rückkehr zum Death Metal darstellte. Ob dies aus Passion geschah oder vielleicht doch auch einem gewissen Kalkül folgte, das schon so manche Band einsetzte, die mit ihren Veränderungswillen ihre Anhänger überforderte, sei dahin gestellt. Ich tendiere aber im gesamten Kontext der Bandgeschichte zu ersterem, zumal die Songs wirklich erstklassig sind. Doch zu diesem Zeitpunkt waren schon nicht mehr alle Originalmitglieder an Bord und kurz vor der Drucklegung des Buches kam die Nachricht, dass Sänger Marc Grewe Morgoth verlassen hatte und durch Karsten "Jagger" Jäger von Disbelief ersetzt wurde. "Morgoth Uncursed" endet mit einem Ausblick auf "Ungod", das Album war zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Manuskripts wohl noch nicht erschienen.

2020 endete das Kapitel Morgoth in der Geschichte des Metals dann für immer. Carsten Otterbach, der an "Ungod" schon nicht mehr mitgewirkt hatte, und schon lange eine Karriere als erfolgreicher Manager im Musikbusiness (siehe auch die Rezension zur Sentenced-Biographie "North from here" HIER) gestartet hatte verlor 2018 leider den Kampf gegen seine tückische Krankheit Multiple Sklerose.

Insgesamt ist das Buch eine kurzweilige, interessante Zeitreise, für Morgoth-Fans ein Muss, für alle, die einen Einblick in das Entstehen des damals neuen Phänomens Death Metal erhalten möchten, ebenso. Einige Bilder aus verschiedenen Epochen der Bandgeschichte runden das Werk ab.