Dr. Hartmut Rosa, Professor für Soziologe an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Direktor des Max-Weber-Kollegs an der Universität Erfurt hat ein Buch über Metal geschrieben, genauer gesagt trägt das Werk den Untertitel "Eine kleine Soziologie des Heavy Metal". Dieses Werk ist das erste der "Metalbook"-Reihe, unter anderem hat in diesem Rahmen auch Manuel Trummer, Professor für vergleichende Kulturwissenschaften an der Universität Regensburg und wahrscheinlich den meisten eher bekannt als Gitarrist von Antlantean Kodex, eine Publikation namens "Highway to Hell" herausgebracht.
Nun sind gerade in den letzten Jahrzehnten Unmengen von Büchern erschienen, deren Autoren sich mit Heavy Metal, seinen Subgenres, bestimmten nationalen bzw. regionalen Szenen und / oder bestimmten Epochen beschäftigten, sei es aus Fansicht oder auch aus wissenschaftlicher Perspektive. Wobei bei letzterem angemerkt werden muss, dass auch in diesen Fällen die Verfasser selbst fast immer aus der Szene selbst kamen, ich erwähne hier beispielsweise-wenn auch länger zurückliegend- Bettina Roccor, die 1996 mit „Heavy Metal – Kunst, Kommerz. Ketzerei“ promovierte oder auch Sarah Chaker, die 2014 mit "Schwarzmetall und Todesblei- über den Umgang mit Musik in den Black- und Death-Metal-Szenen Deutschlands" den Doktortitel erlangte. Der Psychologe Dr. Nico Rose, der es in jüngster Vergangenheit mit seinem Buch "Hard, Heavy & Happy" sogar bis in die Spiegel-Bestseller-Liste schaffte, und auf den sich Rosa in seiner Publikation des Öfteren bezieht, ist ebenfalls passionierter Metalfan. So auch Rosa, der sich nebenbei noch als Hobby-Keyboarder diverser Bands "outet" und - sehr sympathisch - das Buch seinen folgend namentlich genannten "Metal-Brüdern" und Mitmusikern widmet.
Nun kann man sich als geneigter Fan und Hörer fragen, was einem solche oftmals trockenen Werke bringen. Natürlich gibt besonders unter Metal-Hörern nicht gerade wenige an Soziologie, Psychologie oder Pädagogik Interessierte oder gar selbst in diesen Bereichen tätige, sei es an der Universität oder außerhalb, dennoch besteht oftmals die Gefahr der Entmystifizierung, wenn bestimmte Erfahrungen, Verhaltensweisen oder gar ganze Szenen gleichsam mikroskopisch seziert werden und so jenes, was viele gemeinhin als eine gewisse Art der "Magie" bezeichnen würden, seinen Zauber verliert.
Rosa betont direkt zu Beginn des 150-seitigen Werks, das man gut an einem Nachmittag durchlesen kann, dass er sich in einer Zwischenposition bzw. in einem Dilemma befindet. Zum einen besteht die Gefahr, dass der metalhörende Leser mit einer bestimmten Erwartung an dieses Buch herangeht und ihm das "Soziologengeschwurbel" zu abgehoben sein könnte, andererseits könne der Autor die Anhängerschaft seiner soziologischen Theorien vergraulen, da sie die (wissenschaftliche) Beschäftigung mit solchem "Krach" lächerlich finden könne.
Wirklich Neues in Bezug auf die Metalszene an sich erfährt der Szenegänger oder erfahrene Hörer hier natürlich nicht, für ein fachfremdes Publikum könnte die Erwähnung der Bands, Subgenres und Festivals, schon einen guten Einstieg darstellen, wobei hier natürlich kein musikhistorischer Abriss zu erwarten ist, sondern vielmehr auf bestimmte Bereiche und Aspekte der Soziologie abgezielt wird. In diesem Sinne kann der langjährige Hörer bestimmte Erfahrungen nun soziologisch oder psychologisch besser einordnen bzw. im nächsten Kneipengespräch mit den entsprechenden Theoretikern wie bspw. Adorno erläutern.
So stellt der Autor auch die meist liberal-progressive Einstellung vieler Metal-Fans am Beispiel des Outings von Judas Priest-Frontmann Rob Halford als Homosexueller dar, die mit diesem Outing keinerlei Probleme hatten und auch keinerlei Relevanz für die Bedeutung der Musik der Band sah. Halford selbst hatte ja aufgrund der-zumindest äußerlich- empfundenen, teilweise Überbetonung des Maskulinen in der Szene, homophobe Beschimpfungen erwartet und auch aus Sorge um die Band und seine Mitmusiker, seine sexuelle Orientierung lange verschwiegen, was bei ihm, wie in seiner Autobiografie beschrieben (Besprechung siehe hier) für langanhaltende psychische Probleme sorgte.
Auch interessant, gerade für Außenstehende, die Widerlegung von Metal als "Jugendsubkultur". Wer kennt sie nicht, die Konzerte, bei denen der Altersdurchschnitt vielleicht 38 Jahre beträgt, aber auch nur weil, zehn Twens den Durschnitt dementsprechend nach unten "drücken". So stellt Rosa auch klar, dass der Großteil der Hörer altersmäßig zwischen 40 und 50 Jahren anzusiedeln ist, was sich auch mit der Leserschaft dieses Blogs deckt, jugendlich ist hier im Grunde nichts, meine Statistik deckt sich mit den Aussagen von Rosa. Selbst die Gruppe Über-65 ist in meiner Leserschaft noch stärker vertreten als die 18-24 Jährigen, die den mit Abstand kleinsten Teil darstellen, wobei diese natürlich auch herzlich willkommen sind.
Rosa betont, dass es ihm wichtig ist, der Erfahrung, nicht der Bedeutung des Heavy Metals nachzugehen. Und da sind wir schon beim Kern dieses Werks: es geht um Metal als Tiefenresonanz. Resonanz, die emotionale Berührung, das "In-Beziehung-Treten" mit der Welt, welches sich auch physisch äußert, ist kein passiver Prozess, sondern eine Interaktion: im Innern des Hörenden wird etwas aktiviert und "antwortet". Dieses Resonanzerfahren kann nicht prognostiziert oder erzwungen werden, hängt es doch von den verschiedensten Faktoren wie innere oder auch situative Verfasstheit des Hörenden, der Musik und deren kleinsten Nuancen ab. Resonanz als zentraler Aspekt von Musik- oder vielleicht besonders im Metal, bei anderen Musikstilen mag dieses Momentum nicht so sehr im Vordergrund stehen- lässt sich also nicht am Reißbrett programmieren. Ein beruhigender Gedanke, in Zeiten, in denen Hits am Reißbrett aufgrund vorheriger Analysen mit Markern wie Beats per Minute, Länge und einer kürzerer werdenden Zeit bis zum Refrain konzipiert werden, letzteres wohl aufgrund der immer kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspanne der Hörerschaft. In einer Epoche, in der immer mehr Menschen ihre Zeit am Smartphone oder digital verbringen und tatsächliche Erfahrungen immer weniger werden-so zumindest meine Theorie- wird Resonanz immer wichtiger.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch Rosas eigene Herkunft aus einem asketischen, purtitanisch-religiösem Elternhaus, das die Welt in klare Schemen einteilte, Gut und Böse, Reines und Unreines. In welche Kategorie Heavy Metal in einem solchen Glaubenssystem eingeordnet wurde, dürfte nicht schwer zu erraten sein. Uns so war der Autor in jungen Jahren hin - und hergerissen zwischen dem Verlangen nach Bands wie Iron Maiden und Black Sabbath einerseits, und dem schlechten Gewissen und der tatsächlichen Angst vor dem vom Elternhaus prognostizierten Unheil, den Heavy Metal konnte ja nur sozusagen auf direktem Weg in die Hölle führen.
Und, vollkommen unabhängig vom Elternhaus, wer kennt sie nicht die Momente, einer quasi-religiösen Transzendenzerfahrung gleichend, die einen als Heranwachsender für das gesamte weitere Leben prägten? Das erste Mal als 13-jähriger Slayer im heimischen Kinderzimmer hören, vollkommen überwältigt ob der musikalischen Macht, gefangen zwischen Faszination einerseits und Abscheu vor dem "Bösen"?
Im weiteren Verlauf schildert Rosa, der eher im moderateren Bereich des Metals beheimatet ist und Death- und Black Metal eher weniger abgewinnen kann, wie sehr ihm die Musik in schwierigen Situationen seines Lebens oft geholfen habe und die übereinstimmende Erfahrung eines großen Teils der Hörer. Wobei diese, was primär Außenstehende, möglicherweise erst einmal nicht glauben mögen, in Bezug auf die "Big Five" (die Persönlichkeitsfaktoren Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit, Neurotizismus) nahezu identische Ausprägungen wie Klassikhörer aufweisen. Grund dafür sei laut des Studienleiters Adrian North von der Universität von Edinburgh, die "geteilte spirituelle Grundorientierung" sei: beide Musikstile seien sehr dramatisch.
Da sind wir schon beim Thema: Im Metal geht es fast immer um Metaphysik, um alles oder nichts, Tod oder Leben, Sieg oder Niederlage. Auch wenn Texte oftmals klischeebehaftet sind, und meiner Erfahrung nach sich auch eher weniger Hörer wirklich für diese interessieren, so hat die Musik, die gesamte Ästhetik, doch diese Ausstrahlung. Dazu fällt mir im Übrigen noch das Werk des Theologen Sebastian Berndt "Gott hasst die die Jünger der Lüge" ein, in welcher der Verfasser die These aufstellt, Metal-Hörer seien, aufgrund der ständigen musikalisch-ästhetischen Konfrontation mit dem Bösen, besser gewappnet, diesem zu begegnen.
Abschließend bleibt mir zu sagen, dass sich bei der geneigten metalhörenden Leserschaft, doch das ein oder andere Mal ein Aha-Erlebnis einstellen dürfte, so das vermeintliche Paradoxon, das alles ernst und aufrichtig zu meinen, und sich gleichzeitig davon zu distanzieren, es also nicht ernst zu nehmen. Denn oftmals sind Bilder, Texte und Ästhetik reine Symbolik, über die sich oftmals ironisierend lustig gemacht wird- andererseits stehen diese Symbole eben für ein Empfinden, eine Welt dahinter, die (tod-) ernst ist. Insofern, wer mit der Beschreibung grundsätzlich etwas anfangen kann, sollte mal reinlesen, es lohnt sich!