"Dabei scheint Kunst generell immer
wieder zu großen Teilen aus einer inneren Mangelerfahrung geboren und
irgendwann, wenn die Bewusstwerdung voranschreitet, wird es möglich, dass sie
aus innerer Fülle geboren wird." (Eviga/ Dornenreich)
Es gibt Interviews, die dazu führen, dass wenn man das Endresultat in den Händen hält (konkreter gesagt vor allem die Antworten), man direkt wieder spürt, warum man das Ganze unentgeltlich in seiner Freizeit macht. Dieses nun vorliegende Interview ist solch ein Beispiel, aber ehrlich gesagt hatte ich im Falle von Dornenreich auch nichts anderes erwartet, hatte ich von Bandkopf Eviga schon in der Vergangenheit einige interessante, tiefgründige und zum Denken anregende Sichtweisen wahrgenommen. Vielen Dank nochmals an Eviga, der dieses Interview trotz der momentanen Tour sehr ausführlich beantwortete.
Was passiert momentan im Dornenreich-Lager? Ihr spielt ja momentan eine Tour, die auch in einigen Kirchen Halt macht. Hättet Ihr Euch das zu Euren Black Metal-Zeiten mal träumen lassen, auch wenn ihr schon damals nie die Black Metal - Klischees erfüllt habt? Und das nächste Album ist ja auch schon im Entstehungsprozess, was könnt Ihr zum jetzigen Zeitpunkt dazu sagen?
Bis April steht im Moment alles im Zeichen der laufenden Mystic-Places-Tour, die uns an nahezu jedem Wochenende in europäische Metropolen führt. Und unsere bisherigen Erfahrungen waren atemberaubende. Für uns sind Kirchen schlicht und ergreifend – und letzten Endes überkonfessionell gedacht – Orte tiefer Spiritualität. Und der Klangcharakter solcher Räumlichkeiten verbindet sich natürlich sehr, sehr gut mit unserem Ausdruck, der im Kern intensiv, mystisch und zeitlos ist.
Bis April steht im Moment alles im Zeichen der laufenden Mystic-Places-Tour, die uns an nahezu jedem Wochenende in europäische Metropolen führt. Und unsere bisherigen Erfahrungen waren atemberaubende. Für uns sind Kirchen schlicht und ergreifend – und letzten Endes überkonfessionell gedacht – Orte tiefer Spiritualität. Und der Klangcharakter solcher Räumlichkeiten verbindet sich natürlich sehr, sehr gut mit unserem Ausdruck, der im Kern intensiv, mystisch und zeitlos ist.
Dass wir je in Kirchen
spielen würden, hätten wir uns – sagen wir – zu unseren Demo-Zeiten gewiss
nicht vorstellen können, ich denke aber, dass wir schon damals erfreut gewesen
wären, wäre uns diese Möglichkeit geboten worden, denn wir waren, - wie du es
ja bereits trefflich angedeutet hast -, nie eine Band, die sich im Rahmen irgendwelcher
Genreklischees bewegte.
Noch sind wir mitten in der
finalen Ausarbeitung der Arrangements und so kann ich zu diesem kommenden
neunten Album, das den Arbeitstitel "Du wilde Liebe" sei trägt und das mit
großer Wahrscheinlichkeit erst in der zweiten Jahreshälfte 2019 erscheinen
wird, im Moment lediglich sagen, dass es eine Klangwelt bieten wird, die in
ihrer höchst individuellen Verbindung verschiedener Klangquellen durchaus als
einzigartig zu bezeichnen sein wird. Und anfügen kann ich hier vielleicht noch,
dass es hinsichtlich seiner stilistischen Vielfalt ein klassisches
Dornenreich-Album sein wird und auch hinsichtlich der Tatsache, dass wir uns auch
mit diesem Album auf manchen Ebenen neu erfinden werden…
Vor ziemlich genau zwanzig
Jahren kaufte ich mir das Dornenreich-Debüt "Nicht um zu sterben".Ich erinnere mich noch genau, wie ich es damals in meiner Zivildienstzeit kaufte und aufgrund eines Mangels an anderen Möglichkeiten während der Arbeitszeit im angegliederten Dritte-Welt-Laden hörte...
Ich finde es immer noch sehr gut. In diesem Fall, so wie bei einigen anderen Alben weiß ich aber nicht genau, ob da auch Nostalgie im Spiel ist und wenn ja, wie hoch deren Anteil ist. Kennst Du dieses Phänomen?
Sehr gut sogar. Dabei
bin durchaus davon überzeugt, dass es gerade der Umstand ist, wann ein gewisses
Stück oder Album in unser Leben tritt, der dann bestimmt, welchen Stellenwert
es in unserem Leben – und im Speziellen eben auch in der Rückschau – einnimmt,
zumal diese Musik für immer mit den Bildern und Gefühlen dieser Zeit verwoben
sein wird. Selbst nutze ich das manchmal ganz bewusst, will meinen: ich
versuche gezielt, mir auf speziellen Reisen oder im Rahmen bestimmter
Begegnungen neue Musik in mein Leben zu holen, die in mir in der Folge eine
ganz besondere Verbindung mit meiner Erinnerungswelt eingeht.
Und um auf deine Frage
zurückzukommen, ja, ich selbst kann mir den Umstand, dass manche Alben aus dem
Jahre Schnee (umgangsprachlich in Österreich für "aus ferner Zeit" - musste sicherheitshalber auch erst googlen-Anm. des Verfassers) mich noch immer so tief bewegen, wenn ich sei erneut höre, nur
damit erklären, dass sie eben mit einem bestimmten prägenden Lebensabschnitt
verbunden sind, denn würde ich diese Alben etwas objektiver wahrnehmen oder
auch nur erst jetzt kennenlernen, würden sie mich in vielen Fällen wohl eher
kalt lassen…
Welche Erinnerungen habt Ihr
eigentlich an diese Black Metal-Vergangenheit? Gerade in diesem Kontext
gab es ja einige Bands, die dieses "Körper als Kerker"-Konzept hatten (wie es
ja schon Platon formulierte): Die Seele erlange quasi erst mit dem physischen
Tod Freiheit und ihre wahre Bestimmung und wird vom weltlichen Schmerz und Trübsal
befreit... Abigor hatten auch einige Texte in diese Richtung....Desweiteren hatte
ich oft den Eindruck, dass Misanthropie im Black Metal oft Thema war, eben weil da sensiblere
Gemüter unterwegs waren bzw. sind, die erkannt bzw. gefühlt haben, wie
gedankenlos und egoistisch viele Menschen sind (und insofern eigentlich das
genaue Gegenteil vom "bösen Black Metaller" waren/sind).
Im Rückblick will mir
vieles als halbbewusster Versuch erscheinen, die erwachende, starke
Emotionalität unserer Jugendlichkeit in Richtung Kunst zu verschieben.
Dabei scheint Kunst generell immer
wieder zu großen Teilen aus einer inneren Mangelerfahrung geboren und
irgendwann, wenn die Bewusstwerdung voranschreitet, wird es möglich, dass sie
aus innerer Fülle geboren wird. In diesem Spannungsfeld bewegen auch wir uns
gewiss. Viele unserer ersten Schritte mögen heute wie Eskapismus anmuten,
jedenfalls aber waren diese Schritte, die wir damals taten, wichtige Ausrichtungs-
und Anhaltspunkte, selbst wenn manche Inhalte auch noch so dunkel waren, so war
das Befasstsein mit der künstlerischen Annäherung an die – ich nenne es mal –
‚letzten Dinge‘ allemal konstruktiver, lehrreicher und lebbarer als mancher
Pfad, den man als unsicherer und suchender Teenager nehmen kann (- etwa Drogenmissbrauch
oder leerer Konsum aller Art…).
Daran anschließend: ich meine
mich zu erinnern, dass ihr in einem Interview vor vielen Jahren mal gesagt
hattet, dass ihr in die Berge geht und euch dort manchmal unter Wasserfälle
stellt, gerade wegen des Risikos, dass Gesteinsbrocken mit dem Wasser mitkommen
und somit die Gefahr besteht, erschlagen zu werden - quasi das Leben in seiner
puresten Form, dem Augenblick, zu erleben. Hattet Ihr das wirklich getan (und
wenn ja, war das Risiko wirklich nicht so niedrig ) oder war das eher
imageorientiertes Gerede (auch wenn ich Dornenreich sonst in der
Außendarstellung nie so empfunden hatte). Auch Lunar Aurora sprachen davon, der
im Black Metal stets präsente Tod mahnt uns, das Leben zu genießen...
Ich habe die Passage
nicht mehr ganz genau im Kopf, kann mir aber lediglich vorstellen, dass ich
sagte, dass wir das trotz (!) der Gefahr der mitfallenden Brocken taten, denn
unser Leben war uns tatsächlich immer schon viel wert. Doch natürlich war das
Risiko von Steinschlag in der Schlucht, in der wir uns damals immer wieder
einfanden, in erhöhtem Maß gegeben und zusätzlich zur enormen Kälte und Wucht
des schmelzwassergetränkten Wasserfalles intensivierte diese Gefahr freilich
jene Momente in freier Natur.
Betrachtet man Eure Albencover, so fällt auf, dass ein häufig wiederkehrendes Motiv ein Horizont bzw. eine einsam wirkende Person vor einem Horizont ist. Das Individuum, das letztlich
doch trotz aller menschlichen Bindungen ganz allein zurückgeworfen auf sich
selbst ist - mit all seinen Ängsten; ist das die Aussage ? Und wart bzw. seid
ihr vom Existentialismus beeinflusst? Gerade das Album "Freiheit" im Kontext
mit dem Cover ruft direkt diese Assoziation hervor.
Es geht tatsächlich
im Kontext vieler unserer Alben um dieses immer wieder auf sich selbst
gestellte menschliche Individuum, ja. Und, ja, von Beginn an versuchte ich,
mich im konzeptionellen Rahmen von Dornenreich mit existenziellen Fragen und
Mysterien des Seins auseinanderzusetzen. Gerade auf Alben wie "Bitter ist’s,
dem Tod zu dienen", "Her von welken Nächten", "Durch den Traum", "In Luft
geritzt" und schließlich "Freiheit" geht es ganz stark um die Verfasstheit des
menschlichen Inneren und seinen Platz in der äußeren Welt.
Welche Kontakte bestehen
heutzutage noch zu Bands bzw. Musikern aus den alten Black Metal-Tagen? Die alte
österreichische Black Metal-Szene bot hohe Qualität und hatte etwas Eigenes,
auch wenn ich das nur diffus fühle und nicht konkret stilistisch benennen kann.
Abigor, Heidenreich, Summoning, Golden Dawn, Angizia, Amestigon, Korova /
Korovakill, Third Moon, Raventhrone... wobei viele Leute ja auch in zwei oder
drei Bands parallel spielten, ich glaube die Anzahl der aktiven Musiker war
recht überschaubar. Christof Niederwieser von Korova hat einen Doktortitel
erlangt und führt ein Institut für "Astrologische Unternehmensberatung",
wenn ich richtig informiert bin...Bist Du über sonstige Lebenswege, gerade
ehemaliger Leute diesbezüglich informiert?
Mit dem erwähnten
Christof Niederwieser bin ich tatsächlich noch freundschaftlich verbunden, war
er doch – gerade auch in Demo-Tagen – ein wichtiger Begleiter unserer
Bandgeschichte, was natürlich damit zusammenhing, dass unser Drummer Moritz/Gilvan
auch bei Korova(kill) spielte und wir uns mit Korova(kill) den Proberaum
teilten.
Auch mit Michael/Engelke
stehe ich freilich noch Kontakt, bin ich doch bis heute ein Teil von Angizia.
Einigen Mitgliedern von
Abigor und Third Moon begegne ich hin und wieder, wenn ich in Wien weile oder
auch im Rahmen spezieller Konzerte. Was die österreichische Szene aus meiner
Sicht insbesondere auszeichnete war und ist tatsächlich die – stilistisch wie
inhaltlich – grenzüberschreitende Herangehensweise, mit der wir uns eben auch
wechselseitig inspirierten und zum Teil wohl bis heute inspirieren.
Ich finde ja, die alte Szene
hatte immer noch irgendwie etwas Geheimnisvolles, Mystisches. Auch wenn ich das Internet
sehr schätze, und das Schreiben von E-Mails (auch dieses Interview wäre vor über 20
Jahren nicht so einfach verlaufen) und die Möglichkeit, unkompliziert in neue Musik reinzuhören ein Fortschritt ist, vermisse ich dennoch manchmal den Spirit dieser alten Tage. Man konnte
nicht durch Suchmaschinen in kürzester Zeit Privates über bestimmte
Musiker erfahren (vorausgesetzt der bürgerliche Namen ist bekannt) und auch ansonsten
war manches „gefährlicher“ (wenn vielleicht auch nach heutigen Maßstäben
peinlich oder pubertär). Wie siehst Du dies?
Durchaus ähnlich. Wir
haben diesen Spirit noch miterlebt. Briefe schreiben, Szeneneuigkeiten nur aus
den einschlägigen (Monats-)Blättern erfahren – und sich riesig über die ersten
Sampler-CDs in den Musikmagazinen freuen. Obwohl es – ganz genau genommen –
eben dadurch schon damals damit losging, sich ein Album als Gesamtwerk vor dem
Release tendenziell zu verderben. Ich kann mich jedenfalls noch allzu gut daran
erinnern, dass ich mir etwas das Stück "New World Order" von The Kovenant
damals so oft auf der Sampler-CD eines Magazins angehört habe, dass ich es dann
im Albumkontext kaum noch hören konnte, weil ich mich schon bis zu einem
gewissen Grad abgehört hatte, wenngleich es nun – mit dem Abstand vieler Jahre
besehen – für mich definitiv mit das
stärkste Stück des gesamten Albums ist.
Das viele Vorab-Streamen
ganzer Alben (!) und die Post-Frequenz vieler Bands, die dann, - um im
Wettkampf um die fragwürdige Aufmerksamkeitsgunst eines imaginierten Publikums
zu obsiegen -, jede auch noch so triviale Kleinigkeit öffentlich machen, sind
in meinen Augen Kardinalfehler im Umgang mit neuen Medien. Künstler (–
insbesondere in Genres wie dem Black Metal -) leben eben auch von einem
gewissen Geheimnis, leben davon, Leerstellen zu liefern, die das Publikum
auffüllen kann, ja soll. So wächst man als Hörer und so bleibt die Band bzw. der
Künstler zum größten Teil damit befasst, im Stillen an seinen Werken zu
arbeiten.
Nie werde ich persönlich das
Gefühl vergessen, das ich als junger Knabe hatte, als ich mich – vom Beutezug
im lokalen Plattenladen heimgekehrt – in mein Zimmer zurückzog, um mich ganz
dem neu erworbenen Schatz hinzugeben und mir das Album von vorne bis hinten
anzuhören und dabei das Booklet mehrfach und bis ins kleinste Detail zu
studieren. Das war magisch und diese spezielle Freude am Erwerb und an der
intensiven Auseinandersetzung mit einem Werk habe ich mir bis heute bewahrt,
wenn ich das eine oder andere Mal losziehe, um mir das neueste Werk eines von
mir verehrten Künstlers zu besorgen. Ich gebe also dem Berührt– und
Inspiriert-Werden bewusst Raum…
Und in gewisser Weise daran
anschließend: Da ich Dornenreich immer als naturverbundene Band erlebt habe
und als Band, welche die Ruhe und die Introspektion schätzt: Wie siehst Du die
heutige Situation, dass fast alle Leute, sei es in der Bahn oder wo auch immer,
ständig auf ihr Smartphone starren? Viele Forscher haben ja schon Belege
bezüglich der Auswirkungen: immer niedrigere Aufmerksamkeitsspannen, ständige
Social Media-Präsenz lässt die Empathiefähigkeit verkümmern und fördert Narzissmus.
Die Kommunikation verkümmert, von abnehmender schriftlicher Ausdrucksfähigkeit,
bedingt durch Whatsapp etc. ganz zu schweigen. Ich nutze das auch, habe aber
ehrlich gesagt große Bedenken, dass das gravierende negative Auswirkungen haben
wird.
Im Grunde liegt es ja auf der Hand, dass etwa Smartphones, die einen ständig aus der unmittelbaren Situation abziehen und vermöge derer man sich beschleunigter und oft äußerst verknappter Kommunikation ausliefert, zu einer inneren – und wohl bis zuletzt nicht in ihrer ganzen Tragweite erkennbaren – Verwahrlosung führen werden. Wir Menschen haben uns aus meiner Sicht letztlich noch keiner technischen Errungenschaft in - für uns oder den Planeten - bekömmlicher Weise bedient und neigen in allem zum Extrem und zur Egomanie.
Im Grunde liegt es ja auf der Hand, dass etwa Smartphones, die einen ständig aus der unmittelbaren Situation abziehen und vermöge derer man sich beschleunigter und oft äußerst verknappter Kommunikation ausliefert, zu einer inneren – und wohl bis zuletzt nicht in ihrer ganzen Tragweite erkennbaren – Verwahrlosung führen werden. Wir Menschen haben uns aus meiner Sicht letztlich noch keiner technischen Errungenschaft in - für uns oder den Planeten - bekömmlicher Weise bedient und neigen in allem zum Extrem und zur Egomanie.
Und die Entfremdung von der
Landbasis, dem natürlichen Lebensraum, der Natur, die Entfremdung von all dem
also, dem wir entstammen geht nun – folgerichtig – Hand in Hand mit einer
geradezu irrwitzigen Technikgläubigkeit (Stichworte: Industrie 4.0; smart home…),
die an die Stelle des offenkundigen spirituellen Vakuums tritt, das längst das
bedauernswerte (Nicht-)Zentrum der westlichen Menschheit zu sein scheint. Mein
Blick auf den Zustand und die scheinbare Ausrichtung der westlichen
Zivilisation ist also zugebenermaßen vorwiegend pessimistisch, doch gerade
deswegen sehe ich mich (- und damit jedes menschliche Individuum, das sich in
der gesicherten Position gestillter Grundbedürfnisse findet, um sich den
tieferen Zusammenhängen gedanklich und emotional annähern zu können -) dazu
angehalten, wach und bewusst zu sein, um so in jeweils unmittelbarer Umgebung
und Einflusssphäre, das zyklische Lebensganze zu fördern – in Wort und Tat.
Die letzten Worte gehören Dir...
Dir möchte ich für
deine Unterstützung und deine anregenden Fragen danken, Gerald – und unserem
Publikum da draußen für die ermutigende und kostbare Loyalität, mit der es Dornenreich
begegnet und mit der es Dornenreich in der jetzigen Intensität und Präsenz mit
am Leben erhält.
Fotos: Peter Grießer